Kunsthandel Georg Böhringer, Düsseldorf

Ikonen des Möbeldesigns um 1810
»Auf der Suche nach Einfachheit« – Biedermeier
 
Im Juni 2007 hatten Besucher im Rahmen der Ausstellung Gelegenheit, die oft missverstandene Epoche des Biedermeier neu zu erfahren und eine museale Auswahl von Stücken der wichtigsten »Möbeldesigner« der Zeit um 1810 wie Jean J. Chapuis, Michael Thonet, Friedrich G. Hoffmann, Josef Danhauser oder Hofschreinerei Daniel zu sehen. Die exquisiten
Ikonen des Möbeldesigns waren zu erwerben.

 
Ausstellungsdauer 01. – 30. Juni 2007
Vernissage Freitag, den 1. Juni 2007, 18.00 Uhr

»Kunst ist es, durch Reduktion Komplexität zu gewinnen; Verwandlung von Mangel in Fülle«*

»Der moderne Mensch… braucht das Ornament nicht« schrieb Adolf Loos im Jahr 1908 in der Streitschrift »Ornament und Verbrechen«. Die betont schlichte, auf das Wesentliche reduzierte Formensprache gilt seitdem gemeinhin als Erkennungsmerkmal der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. Für über ein Jahr lenkt derzeit die große Schau »Biedermeier – Erfindung der Einfachheit« - eine Zusammenarbeit des Milwaukee Art Museum, der Albertina in Wien und des Deutschen Historischen Museum Berlin - die Aufmerksamkeit der Kunstwelt auf die Stilepoche des frühen Biedermeier und stellt mit exemplarischen Stücken dieser Zeit eine frappierend einleuchtende Verbindung zur Moderne her. Der Einfluss dieser Stilbewegung in Europa darf getrost als einzigartig gelten und verlangt nach einer Neubewertung in der Kunstgeschichte: ganz offensichtlich muss das Biedermeier in ein neues Licht gestellt werden. Auf einem Kunstmarkt, in dem die Preise für Design des 20. Jahrhunderts mitunter aberwitzige Höhen erklommen haben, erscheint diese Stilepoche des frühen Biedermeier daneben eher unterbewertet. Das erklärte Anliegen der hier in Düsseldorf gezeigten, auf die Möbelkunst der Zeit zwischen 1795 und 1835 konzentrierten Ausstellung ist es, anhand von 35 Exponaten die stilistische Außerordentlichkeit der Biedermeierepoche und ihre Zusammenhänge und Einflüsse zu veranschaulichen. Die ausgestellten Möbelentwürfe sprechen eine mitunter äußerst reduzierte Formensprache und wurden ursprünglich keineswegs für bürgerliche Lebenszusammenhänge – wie uns der irreführende Begriff Biedermeier nahelegt – gefertigt. Nahezu alle gezeigten Stücke sind im Gegenteil höfische Auftragsarbeiten. Schlichtheit wurde erst 100 Jahre später zum Ausdruck bürgerlicher Tugend hochstilisiert. Die Entwicklung des Biedermeierstils ist eben nicht geprägt von jener Gestaltungsverweigerung, die wohl die Shaker im Amerika des 19. Jahrhunderts im Sinn hatten, sondern vom individualisierenden Formenspiel, das in der Idee vom Möbel als soziale Skulptur gipfelt. Individualität, Funktionalität und eine Sehnsucht nach Häuslichkeit spielten damals zusammen und schufen einen Stil, der sich sowohl in die privaten Räumlichkeiten des Adels wie die des kultivierten Bürgertums einfügte. Der spätklassizistische Empire- und Louis-Seize-Stil bleibt parallel, vor allem in Repräsentationsbereich bei Hof, bestehen. Die Kriege hatten weite Landstriche Europas in Armut gestürzt. Napoleons Niederlage und der nachfolgende Wiener Kongress 1814/15 sollten Europa neu ordnen. Diesen historisch-politischen Schnittpunkt markierte seit etwa 1900 die Kunstgeschichte zugleich als den Beginn des »bürgerlichen« Biedermeierstils. Die Zäsur von 1814/15 forcierte jedoch lediglich eine Stilentwicklung, die sich bereits 20 Jahre zuvor auch als Protest gegen die französische imperiale Bevormundung bemerkbar gemacht hatte: nämlich die Verbindung des Natürlichen, Nützlichen mit dem Schönen, Einfachen. Die oben beschriebenen Stilüberschneidungen des so genannten Biedermeier mit dem Empire und Louis-Seize werden in der kompakten Schau in zwei Ausstellungsräumen ebenso aufgezeigt, wie bedeutende und bis heute wenig beachtete Einflüsse aus den Anrainerstaaten. Bei dieser Präsentation werden zum ersten Mal überhaupt in einer Galerie die drei Meilensteine des modernen Stuhldesigns im 19. Jahrhunderts gezeigt: der erste schichtverleimte gebogene Stuhl in Leichtbauweise von Jean-Joseph Chapuis aus Brüssel (um 1805), der »Bopparder Stuhl« von Michael Thonet (1836/42) und der erste, bislang in dieser frühen Version weitgehend unbekannte »Kaffeehausstuhl« No.14 von M.Thonet/Wien (um 1855) mit königlicher Provenienz (Schloss Marienburg bei Hannover). Diese Exponate dürfen allesamt als Meilensteine der Designgeschichte gelten. Ergänzt werden die musealen Ikonen durch Stücke aus der Münchener Hofschreinerei Daniel, aus den Werkstätten von Josef Danhauser in Wien und Friedrich Gottlob Hoffmann in Leipzig sowie einigen anonymen Beispielen »modernen« Möbeldesigns aus dem frühen 19. Jahrhunderts. Seit Ende des 18. Jahrhunderts übte vor allem England wesentlichen Einfluss auf die Möbelproduktion im deutschsprachigen Gebiet aus. 1786 wird zum ersten Mal das »Journal des Luxus und der Moden« publiziert und bildet »Englische Stühle von neuer Form« ab. Der »englische Stil« galt als modern, formschön und leicht. Schon Winckelmann schwärmte von seiner »Simplizität«. Die Entmachtung der Zünfte, die in deutschen Staaten und Österreich viel später, teilweise erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte, dynamisierte auf der Insel den Markt. In Kontinentaleuropa hingegen verhinderte das rigide traditionelle Zünftesystem systematisch, über den regionalen Markt hinauszudenken. Während die Gewerbefreiheit in Preußen schon 1818 fiel, hielt sie sich in Wien bis 1859. Lediglich Hofebenisten und Fabrikationen waren frei von diesen Zwängen. So gelang es der Manufaktur David Roentgen aus Neuwied schon in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts zur vielleicht bedeutendsten und teuersten Werkstatt Europas aufzusteigen und nahezu alle Fürstenhäuser Europas zu bedienen. Technische, ästhetische und handwerkliche Innovation und Perfektion, wirksames Marketing, eine damals noch weitgehend unübliche Lagerproduktion und ein ausgeprägter weltmännischer Geschäftssinn waren Voraussetzung für diesen Erfolg. Während in den 90er Jahren mit der Verunsicherung der Höfe durch die französischen Revolution der Niedergang Roentgens eingeleitet wurde, gelang es in Leipzig Friedrich G. Hoffmann mit der Förderung seines aufgeklärten Landesfürsten Friedrich August III. - der den englischen Stil favorisierte - für einige Jahre zu einer bedeutenden und außerordentlich fortschrittlichen Manufaktur aufzusteigen. Er bot als erster den Kunden über Firmenversandkataloge seine Produkte grenzüberschreitend und mit Lieferservice an. Seine Stuhlentwürfe, Variationen des englischen Stils, beschrieb er selbst »Stühle von simpler Form… die sich durch geschmackvolle und feine Arbeit auszeichnen«; sie weisen schon Ende des 18. Jahrhunderts frühbiedermeierliche Stilelemente auf. Während die Roentgenmanufaktur mit ihrem außergewöhnlichem Niveau ausschließlich den internationalen Luxusmarkt belieferte, erweiterte Hoffmann den Markt auf breitere aristokratische Kreise, aber wie Roentgen und später andere größere Möbelbetriebe schon mit einer Palette variabler Grundtypen, die auf Vorrat produziert wurden. Wien, das Zentrum der Donaumonarchie hegte nie eine große Vorliebe für das französische Empire Napoleons. Stilprägend waren auch hier die englischen Vorbilder wie Sheraton- oder Hepplewight. Besonders in Wien entwickelte sich schon in den 90er Jahren eine Neigung für frühmoderne Entwürfe, die wegweisend für die außerordentliche Vielfalt des Wiener Biedermeier im frühen 19. Jahrhundert wurden. Nicht ohne Grund konnte sich jenseits der zünftigen Beschränkungen, da vom Kaiserlichen Hof gefördert, die »Danhauser k.k.priv. Möbel Fabrik« als größte Manufaktur ihrer Zeit entwickeln. Von ihrer Bedeutung zeugen schon allein die ca. 2.500 erhaltenen Modellzeichnungen, die teilweise als Kataloge ediert wurden. Vor allem ein Sesselkatalog aus den 30er Jahren zeigt eine enorme Vielschichtigkeit der Stile. Etliche dieser Entwürfe überragen in ihrer reduzierten Schönheit die meisten Ebenisten der Zeit. Die Produkte seiner Firma veranschaulichen eindrucksvoll die für den Zeitgeist der Epoche veränderte Materialvorliebe; Furnierholz wurde in seiner einzigartigen natürlichen Vorgabe entdeckt, vorwiegend heimische Hölzer, fast immer spiegelbildlich angeordnet und oft in ungewöhnlichen Maserungen. Aus dem Mangel an teurem exotischem Holz wurde eine Tugend gemacht; man beizte heimisches Furnier um und verkaufte dies selbstbewusst als innovative Leistung. Die Verarbeitungen waren durchweg nicht simpel, sie verbargen sich nur oft hinter dem Entwurf. Etwa zeitgleich mit der Gründung der Firma Danhauser im Jahr 1804 gelang es jenseits des deutschsprachigen Gebietes in Brüssel um 1803 der Manufaktur von Jean Josef Chapuis zuerst, die Technologie des schichtverleimten, gebogenen Holzes mit einem zeitlos »modernen« leichten Stuhlentwurf in Einklang zu bringen: ein bahnbrechender Erfolg, dessen Bedeutung der Kunstwelt erst in den letzten Jahren bewusst wurde. Chapuis, der erst 1864 fast 100-jährig starb ist der wohl unbekannteste richtungsweisende Entwerfer der vergangenen 200 Jahre. Er arbeitete sowohl für Napoleon als auch für den belgischen Hof. Seine herausragende Leistung liegt im wesentlichen in der Entwicklung dieses Armlehnstuhls, dessen Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzen ist, wie Ankäufe der wichtigsten Designmuseen der Welt jüngst demonstriert haben. Sein Schaffen, wie auch das von David Roentgen hat mit Sicherheit jener Michael Thonet gekannt, der sich in der Blütezeit des Biedermeier schon 1818 als junger Mann in Boppard - das keine 50km von Neuwied entfernt war! - als Möbeltischler selbstständig machte. Seine Genialität bestand tatsächlich weniger in technischer oder formgebender Innovation. Er erfasste vielmehr den Zeitgeist des aufkommenden Bürgertums, dessen Bedarf an leicht zu produzierenden Möbeln und den daraus folgenden überregionalen merkantilen Möglichkeiten. Er war es, der das Fertigmöbel perfektionierte; zuerst in Boppard mit dem Patentanspruch für gebogenes schichtverleimtes Holz und noch fein furniert im Biedermeierstil (»Bopparder Stuhl«). Dann seit den 40ger Jahren über Metternichs Empfehlung in Wien und dort innerhalb von nur 20 Jahren mit weltweit expandierendem Erfolg, unter anderem mit dem erfolgreichsten und meist kopierten Stuhlentwurf der Geschichte: des Stuhls No 14. Michael Thonet wusste, dass ohne Protektion der Aristokratie kein maßgeblicher Erfolg möglich war; aber er spürte eben sehr wohl auch den Zeitgeist: die Aufhebung der Gewerbebeschränkungen, die wachsende Bedeutung von Messen und Ausstellungen, die industrielle Revolution mit all ihren medialen, technologischen und marktstrategischen Möglichkeiten. Er schuf mit dem Stuhl No 14 mitten in der Zeit überbordenden Dekors und historisierender Stilelemente einen ganz an biedermeierliche Reduktion angelehnten Entwurf, der sich überall leicht integrieren ließ. Damit verhalf er als erster einem Stil Beachtung, der erst ein halbes Jahrhundert später bewusst von der damaligen Kunstavantgarde nachvollzogen wurde. Die Moderne seit 1896 schätzte am Biedermeiermöbel die mit Modernität identifizierte Funktions- und Materialgerechtigkeit. Davon zehrten die Art-and-Craft-Bewegung ebenso wie die Wiener Sezession und das Bauhaus. Schob sich seit den 80ger Jahren des 20. Jahrhundert aus postmoderner Sicht die Vorliebe für den Klassizismus in den Vordergrund, so scheint derzeit die reduzierte Formensprache der frühen Biedermeierepoche wieder an Boden zu gewinnen. Dennoch: Der reduzierte Stil des frühen Biedermeier hat ohne Zweifel großen Einfluss auf die Moderne gehabt; der Umkehrschluss verbietet sich jedoch: das Biedermeier hat die Moderne nicht erfunden, sondern letztlich Vorgaben, sei es aus England, der Antike und sogar aus China, weiterentwickelt und ihnen ein neues eigenes Gesicht gegeben. g.b. *Hannes Böhringer: »Auf der Suche nach Einfachheit - Eine Poetik«, Merve Verlag Berlin 2000, S.98


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